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Verflechtung von Forschung, Universität und Kolonialpolitik
Wissenschaft, Forschung oder Bildung sind im allgemeinen Sprachgebrauch heute weiterhin in der Regel positiv konnotiert. Etwas zu ‚entdecken‘ gilt als Bereicherung des menschlichen Wissens über die Welt.
„Wissenschaft schafft und konturiert Wissen, und alles rassistische Wissen, das uns bis heute begleitet, hat eine Absicherung in und durch Wissenschaft und ihre Institutionen erfahren.“
(Arndt 2017, 65)
Genau dieses Wissen ist jedoch nie losgelöst von den vorherrschenden Weltbildern und Ideologien der jeweiligien Gesellschaft. Auf das ‚Entdecken‘ Amerikas folgte beispielsweise die millionenfache Ausrottung der indigenen Bevölkerung und die wiederum millionenfache Deportation und Versklavung von Menschen vom afrikanischen Kontinent. Wissen ist nicht einfach objektiv oder unparteiisch; es kann zu Gewalt führen und es kann selbst gewalttätig sein, wie am Beispiel der so genannten „Rassenlehren“ aus dem 19. Jahrhundert vielleicht am leichtesten erkannt werden kann. Die Literaturwissenschaftlerin Susan Arndt schreibt, dass Ende des 19. Jahrhunderts „in Europa jede relevante Entwicklung und Entscheidung als ‚wissenschaftlich‘ begründet hingestellt“ wurde (Arndt 2017, 64). Es ist also nicht möglich, Forschung losgelöst von den geopolitischen und sozialen Verhältnissen, in denen wir uns befinden, zu betreiben. Zu Zeiten des Kolonialismus erfüllte die Forschung mal mehr, mal weniger gewollt eine zentrale Rolle zur Wegbereitung und Legitimation des Selbigen. Zugleich ist die Entstehung vieler (Teil-)Disziplinen wie z.B. der Geographie, der Ethnologie, der Tropenmedizin oder der Biologie auf die kolonialen Interessen Europas und Deutschlands selbst zurückzuführen.
Koloniale Forschungsreisen
Eine besondere Rolle spielten dabei die Forschungsreisen in Länder des Südens. Das Ziel der Expeditionen war es oft, so genannte „weiße Flecken“ auf den bestehenden Landkarten z.B. von Afrika zu tilgen. Dabei gab es einen besonderen Eifer, als erster weißer Europäer oder als erster weißer Deutscher eine bestimmte Region zu bereisen und den vorgefundenen Pflanzen, Tieren, Vulkanen etc. Namen von weißen, männlichen ‚Entdeckern‘ zu geben, ohne davon auszugehen, dass Einheimische selbst schon ein Wissen darüber hatten. Aus einer Haltung der weißen Überlegenheit heraus herrschte die Überzeugung vor, der Menschheit einen Dienst zu erweisen, indem Flora, Fauna und sogar Menschen nach Kriterien, die in Europa entstanden sind, vermessen und klassifiziert wurden. Während dadurch alles zum Objekt gemacht werden konnte, empfand sich der Europäer als handelndes und wissendes Subjekt. Eine Sehnsucht nach heldenhaftem Abenteuertum und Jagdlust bildeten bei den Expeditionen oftmals die hintergründige Motivation der so genannten ‚Forscher‘, so dass offen analysiert werden muss, inwiefern die Expeditionen und ihre Ergebnisse heute tatsächlich überhaupt noch als Forschung eingeordnet werden können.
Hermann von Wissmann
Der Rostocker Leutnant Hermann von Wissmann, der dafür berühmt wurde, als erster Europäer Afrika von Ost nach West durchquert zu haben, war 1883 z.B. überzeugt, „einen weiteren Schritt zur Erhellung des sich so zäh gegen das Eindringen der Cultur wehrenden Erdteils“ Afrika getan zu haben (Wissmann zit. nach Pade 2001, 202). Wissmann, der in manchen deutschen Städten noch immer als ‚Afrika-Forscher‘ in Straßennamen geehrt wird, wurde anschließend vielfach für sein ‚erfolgreiches‘, äußerst brutales, militärisches Vorgehen bei der Niederschlagung von Aufständen der Küstenbevölkerung gegen die deutsche Kolonialregierung in Deutsch-Ostafrika, heute Tansania, gefeiert. Er hatte Massaker verrichten und ganze Ortschaften anschließend plündern und verbrennen lassen. Im Rückblick war es gerade seine Expedition von Ost- nach Westafrika, die ihm den Weg in die belgische und später deutsche Kolonialpolitik geebnet hatte.
Herzog Adolf Friedrich
Adolf Friedrich, Herzog zu Mecklenburg-Schwerin (1873 – 1969) machte sich durch zahlreiche Forschungsexpeditionen einen Namen als ‚Afrika-Forscher‘. Später war auch er als Kolonialpolitiker tätig. Insgesamt fiel das mecklenburgische Herzoghaus, das enge Verbindungen zu den Hohenzollern und damit auch zu Kaiser Wilhelm II. inne hatte, seit der Jahrhundertwende durch ein starkes kolonialpolitisches Engagement im Deutschen Reich auf.1 Friedrich residierte für kurze Zeit bis zum frühen Tod seiner ersten Ehefrau 1918 im Palaisgebäude am Universitätsplatz. Sein Interesse für ferne Länder begann mit einer Reise in den Nahen Osten, die ihm für das bestandene Abitur geschenkt wurde. 1907/08 unternahm er seine erste wissenschaftliche Forschungsreise von Ost- nach Westafrika, die z.B. auch von der Deutschen Kolonialgesellschaft (siehe auch Station ethnographische Sammlung) bezuschusst wurde. 1910/11 erfolgte die zweite Expedition nach West-Afrika/Tschad. Friedrich brachte zahlreiche Sammlungen von seinen Expeditionen nach Deutschland, darunter auch eine große Anzahl an Schädeln und Skelettteilen. Die meisten Objekte gingen an die Berliner Museen für Botanik, Zoologie und Ethnologie. Manches vermachte er auch dem ethnographischen Museum in Rostock. Während er die wissenschaftliche Auswertung der ersten Expedition vor allem dem in Berlin tätigen Ethnologen Jan Czekanowski überließ, der darüber eine achtbändige Reihe herausbrachte, veröffentlichte Friedrich seine Tagebuchaufzeichnungen „Ins innerste Afrika. Bericht über den Verlauf der deutschen wissenschaftlichen Zentral-Afrika-Expedition 1907-1908“, die besonders das Interesse bei jungen Menschen für Afrika und die Kolonialpolitik des Deutschen Reiches wecken sollten. Darin schwelgt er ausführlich in Jagdberichten von durch ihn erlegten Tieren, z.B. Elefanten, oder er versucht die Lesenden mit Erzählungen von angeblichen Verspeisungen weißer durch Kannibalen zu beeindrucken. So wie auch bei Paul Pogge (Station Denkmäler und Straßennamen) sollten Friedrichs Veröffentlichungen umfassend kritisch analysiert werden.
1912 erlangte der Afrikabegeisterte für zwei Jahre eine Position in der Kolonialpolitik als Gouverneur von Togo. Der Rostocker Lateinamerikawissenschaftler Pade geht davon aus, dass sich Friedrichs Gouverneurszeit nicht von anderen abhob. Er habe es gebilligt, wenn Plantagenbesitzer Einheimischen ihr Land weggenommen haben und die Rückkehr mit Gewalt verhinderten, andererseits einmal eine unbegrenzte Erhöhung von Steuern nicht bewilligt. 1913 erließ er eine Anordnung, die es verbot, dass die Kinder von deutschen Vätern und Schwarzen Frauen den deutschen Familiennamen tragen. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass dies aus eigenen Interessen heraus geschah. Zum Thema der Sexualkontakte mit einheimischen Frauen, teilweise zum Missbrauch an Minderjährigen, ist Kritik von einheimischen Chiefs an der Regierungsweise Friedrichs überliefert.
Auch nach dem Wegfall der deutschen Kolonien im Zuge des Versailler Vertrages nach der Niederlage Deutschlands im ersten Weltkrieg setzte sich Adolf Friedrich entschieden für eine Wiedererlangung deutscher Kolonien ein, z.B. als Vizepräsident der Deutschen Kolonialgesellschaft. In den 1930er Jahren war Friedrich für den Werberat der Deutschen Wirtschaft, der dem Propagandaministerium von Goebbels angegliedert war, z.B. in Südamerika tätig. Pade nennt Friedrich eine Gallionsfigur einer kolonialpolitischen Nostalgie in der alten Bundesrepublik bis in die 1960er Jahre (Pade, Buchka, 34.). Neben seinem Engagement im deutschen und Internationalen Olympischen Komitee wurde er für seinen kolonialwissenschaftlichen und kolonialpolitischen Einsatz vielfach ausgezeichnet. Auch von der Universität Rostock erhielt er gleich zwei Ehrendoktorwürden.
Erinnerungskultur und Ehrendoktor*innenwürden
1912 wurde Friedrich Ehrendoktor der philosophischen Fakultät der Universität Rostock. Anlässlich des 500-jährigen Jubiläums der Universität erhielt Friedrich 1919 zum zweiten Mal die Ehrendoktorwürde der medizinischen Fakultät. Bei der gleichen Feierlichkeit wurde Paul von Lettow-Vorbeck zum Ehrenmitglied der Universität wegen seiner als ruhmvoll erachteten Taten im Ersten Weltkrieg. Als Kommandeur der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika war er der einzige General, der im Ersten Weltkrieg auf Kosten von vielen Schwarzen Menschenleben und speziell Söldnern (so genannten Askaris) vor Ort Stand hielt. 2019 feiert die Universität ihr 600-jähriges Jubiläum. Die Vorbereitung der Feierlichkeiten bietet die Chance, sich noch einmal kritisch damit auseinanderzusetzen, wen sie im Zuge von Kolonialismus (und Nationalsozialismus) eigentlich geehrt hat und ob dies heute noch ethisch tragbar ist. Die Stadt Freiburg hat 2016 gezeigt, dass Straßennamen nichts in Stein gemeißeltes sind und vielfältig kritisch ergänzt oder auch verändert werden können, nachdem sich eine Kommission eingängig mit dem Werk der Personen auseinandergesetzt hat. Ein ähnliches Vorgehen könnte durchaus auch für Ehrendoktorwürden an Universitäten ein geeigneter Weg sein. Wir würden uns eine solche Auseinandersetzung im Zuge des aktuellen Universitätsjubiläums wünschen und sind gerne zu einer Kooperation bereit.
Erinnerungskultur und Geschichtsschreibung
Was hälst du aufgrund der bisherigen Informationen von dem folgenden Zitat:
„Es ist wahrscheinlich eine der letzten großen Expeditionen [gemeint ist Friedrichs zweite Expedition von 1910-11] gewesen, die diesen Namen verdienten: mit Trägern und Proviantdepots, Trinkwasser, Tauschwaren und … einem Kunstmaler! Es ging durch Busch und Savanne und kam zur Begegnung mit kannibalischen Stämmen.“
Goetze 1987, 77
Was können WIR tun?
Was haltet ihr von dem Vorschlag, nach alternativen Quellen der Geschichtsschreibung zu suchen und nicht allein der europäischen, meist rassistischen Charakterisierung Afrikas Vertrauen zu schenken? Leider ist es oft allerdings nicht so einfach, historische Quellen von einheimischen Menschen vor Ort zu finden; vieles wurde nie verschriftlicht. In der postkolonialen Literatur- und Geschichtswissenschaft wurde deshalb eine Strategie entwickelt, die europäischen Quellen gegen den Strich zu lesen: Hinter den Stimmen (und Abwertungen) der Kolonialbeamten, der Kaufleute und Missionar*innen lassen sich zwar nie vollständig, aber doch bruchstückhaft die (widerständigen) Handlungen der kolonisierten Menschen erahnen.
Quellen und zum Nachlesen
- Susan Arndt, Rassismus. Die 101 wichtigsten Fragen, München ³2017.
- Martin Buchsteiner/Antje Strahl, Zwischen Monarchie und Moderne. Die 500-Jahrfeier der Universität Rostock 1919 (Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte 4), Rostock 2008.
- Kommission empfiehlt Umbenennungen von Freiburger Straßennamen: http://www.freiburg.de/pb/site/Freiburg/node/1017982/Lde/zmdetail_14794301/Linnestrasse.html?zm.sid=zml3zhm6elz1 (abgerufen am 04.12.17).
- Adolf Friedrich, Ins innerste Afrika. Bericht über den Verlauf der deutschen wissenschaftlichen Zentral-Afrika-Expedition 1907-1908, Leipzig 1909.
- Rolf Goetze, Der „Afrika-Herzog“. Ein Erinnerungsblatt an Adolf Friedrich, Herzog zu Mecklenburg, in: Afrikanischer Heimatkalender (1987), 75-79. (Achtung unkritisch).
- Doris Griesser, Wenn Wissenschaft zu Herrschaft führt, in: Der Standard 25.11.2015: http://derstandard.at/2000026345145/Wenn-Wissenschaft-zu-Herrschaft-fuehrt (abgerufen am 14.12.17).
- Rudolf Junack, Adolf Friedrich Herzog zu Mecklenburg. Leben und Wirken, Hamburg 1963. (Achtung unkritisch).
- Thomas Morlang, Der umstrittene „Kolonialheld“ Hermann von Wissmann, in: Ulrich van der Heyden/Joachim Zeller (Hg.), „… Macht und Anteil an der Weltherrschaft“. Berlin und der deutsche Kolonialismus, Münster 2005, 37-43.
- Werner Pade, Gerhard von Buchka. Kolonialpolitik und „Kolonialwissenschaft“, in: Beiträge zur Geschichte der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock (1988), 34-40.
- https://skd-online-collection.skd.museum/Details/Index/1900851; letzter Zugriff am 3.12.2020
- Werner Pade, Zwischen Wissenschaft, Abenteuertum und Kolonialpolitik. Adolf Friedrich Herzog zu Mecklenburg, in: Martin Guntau (Hg.), Mecklenburger im Ausland. Historische Skizzen zum Leben und Wirken von Mecklenburgern in ihrer Heimat und in der Ferne, Bremen 2001, 201-212.
- Edwin Sternkiker, Unter den Riesen von Afrika. Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg-Schwerin beim Stamme der Watussi (Berühmte Mecklenburger), in: Mecklenburg-Magazin 07.02.1992, 3. (Achtung unkritisch).
- Autor nicht angegeben, Ein großer Mecklenburger und „Afrikaner“. Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg schied von uns, in: Unser Mecklenburg. Heimatblatt für Mecklenburg und Vorpommern 332/333 (1969), 3. (Achtung unkritisch).
- 1 Friedrichs Halbbruder Johann Albrecht war z.B. von 1895 bis 1920 Präsident der Deutschen Kolonial-Gesellschaft, „der führenden Organisation bei der Propagierung einer aktiven Kolonialpolitik und zur Wahrnehmung der ökonomischen und politisch-strategischen Interessen des deutschen Monopolkapitals.“ (Pade, Buchka, 34).