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St.Georg Straße –
Geburtsort des Kolonialkritikers und Pazifisten Hans Paasche

Wer war Hans Paasche?

Hans Paasche wurde am 3. April 1881 in Rostock, in der St. Georg Straße 101, geboren. Sein Vater Hermann Paasche war Wirtschaftswissenschaftler, Universitätsprofessor und später Reichstags-Vizepräsident. Schon als junger Mann rebellierte Hans Paasche gegen sein konservatives, reichsbürgerliches Elternhaus. Der Rostocker Pastor Willi Passig schrieb über den jungen Paasche:

“Die an langen Tafeln versammelten [..] Generalmajoren der Armee […] waren es gewöhnt, dass sie ihre Monokel sorgsam […] von dem Auge entnahmen. Es musste schon außergewöhnliches passieren, wenn sie ihre Sehhilfen abrupt herabfallen ließen […]. Nicht nur außergewöhnlich […] war es, wenn ein junger Leutnant, namens Hans Paasche, um seinen Platz zu wechseln, sich mit einem Sprung über die Tafeln hinüber auf die andere Seite schwang.”

Passig 2017, 178-179.
Blick in die St. Georg Straße

Paasche legte im weiteren Verlauf seines Lebens jedoch zunächst eine standesgemäße Karriere hin und wurde Marine- und Kolonialoffizier. Als Navigationsoffizier erlebte Paasche 1905 in der ehemaligen Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ (die heutigen Länder Tansania, Burundi und Ruanda) den Maji-Maji-Aufstand, einer der größten Kolonialkriege Deutschlands. Die Truppen des Kaiserreichs schlugen die Aufständischen brutal und skrupellos nieder. Diese einschneidende Erfahrung machte Paasche zu einem absoluten Kritiker des Kolonialismus. Weil er seine Zweifel über den Kolonialkrieg auch unmittelbar mit seinen Soldaten teilte, machte er sich bei der Heeresführung immer unbeliebter und zog mehr und mehr Misstrauen auf sich.

Hans Paasche, 1914 © Donat Verlag

Während seiner Zeit in Afrika erlernte Paasche Kisuaheli, um sich verständigen zu können. Er hielt sich zunächst an der Küste des heutigen Tansania auf, begab sich von dort aus aber immer weiter ins Landesinnere, wo er sich eigenständig um raschen Friedensschluss mit den Einheimischen bemühte (Lange/online Chronologie).

Er begegnete den Menschen vor Ort mit Respekt und wurde dadurch auch mit Respekt und Vertrauen angenommen. Diese Begegnungen veränderten Paasches Leben. 1909 ließ er sich aus dem Militärdienst entlassen und erklärte sich zum Pazifisten.

Zurück in Deutschland arbeitete Paasche als antimilitaristischer Publizist und veröffentlichte 1912 in einer Zeitschrift “Die Briefe des Afrikaners Lukanga Mukara”. Darin wird der fiktive Afrikaner Lukanga aus Kitara von seinem König nach Deutschland geschickt, um das Leben und die Kultur dort zu erkunden. Lukanga sendet seinem König auf seiner Reise Briefe, in denen er das deutsche, vermeintlich zivilisierte Leben aus seiner Wahrnehmung heraus schildert und sich gegenüber den Eigenarten der Deutschen und ihrer angeblichen “Kultur” höchst verwundert und abgeneigt ausdrückt.

Paasche zeigte mit diesen Texten auf satirische Art und Weise, dass die Deutschen kein Recht hatten, sich als höherstehende Zivilisation der afrikanischen Gesellschaft gegenüberzustellen.
Mit dieser und weiteren antimilitaristischen Propagandaarbeiten machte sich Paasche beim Staat durchaus unbeliebt. 1917 wurde er verhaftet und wegen Hochverrats angeklagt. Nach seiner Befreiung durch den Matrosenaufstand 1918 zog er sich auf sein Gut “Waldfrieden”, östlich der Elbe, zurück, um seine Arbeit gegen den deutschen Militarismus fortzusetzen.

Grabstein Hans Paasche (Foto: FraLin license CC BY-SA 3.0 wikimedia commons)

Am 21. Mail 1920 wird Hans Paasche auf seinem Gut von Reichswehr-Soldaten niedergeschossen. Die Begründung lautet “Flucht”. Weil er sich umdrehte, als er die Soldaten auf seinem Grundstück sah, mit denen er nicht gerechnet hatte. Angerückt waren die Soldaten, weil auf seinem Grundstück angeblich Waffen für einen kommunistischen Aufstand versteckt gehalten wurden. Waffen wurden aber nie gefunden (Donat/Zeit Artikel).

Paasche: Kolonialkritiker, Umweltschützer und Pazifist

Obwohl Hans Paasche immer stärker Kritik am Kolonialismus übte, verbrachte er nach dem Maji-Maji Aufstand selber noch 4 Jahre in Afrika, im heutigen Tansania, und blieb weiterhin im Militär. Er machte sich den Stand, in den er hineingeboren wurde zu Nutze, und fand mit seiner individuellen Art auch in den Militär- und Regierungsreihen, wenn auch nur wenige, Mitstreiter. Individuell war Paasche, da er stets bereit war,

“[…] an sich selber zu arbeiten, […] die eigene Moral zu ändern, seinen Lebensstil zu hinterfragen und sich fortlaufender Eigeneinschätzung zu unterwerfen.”

Passig 2017, 179

Hans Paasche erkannte nicht nur den großen Schaden, den der Kolonialismus anrichtetet, er versuchte “auch seine Untergebenen und Kameraden vom Alkohol abzubringen” (Fetscher 2016, 91-92). Darüber hinaus setzte er sich für Frauenstimmrechte, Tierrechte und den Vegetarismus ein. Für Paasche war schon damals die Ausbeute der Natur für das Wirtschaftswachstum ein stumpfsinniges und engstirniges Konzept.

Zu erwähnen ist jedoch, dass Paasche mit Ausbruch des ersten Weltkriegs als Kapitänleutnamt wieder reaktiviert wurde, da er, von politischer Propagana geblendet, glaubte, dass es sich um einen Angriffskrieg gegen Deutschland handelte. Als er erkannte, dass er auf der Seite der Angreifer kämpfte, festigte sich seine Ablehnung gegen jede Form von Kriegsführung nochmal mit Nachdruck, sodass er 1916 aus dem Militärdienst entlassen wurde und der Todesstrafe nur knapp entkam (Passig 2017,182; Donat/Zeit Artikel).

Die Briefe des Afrikaners Lukanga Mukara.

Buchdeckel “Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara …” © Donat Verlag

Paasche versuchte die Deutschen 1912 mit der Veröffentlichung, der fiktiven Briefen des Afrikaners Lukanga Mukara zu erreichen. Er verfasste damit “eine satirische Bloßstellung der angeblichen Errungenschaften von Preußentum und europäischer Zivilisation”, in einfacher Sprache und hielt den Deutschen damit einen Spiegel vor (Donat 2020, 17).

So schrieb Lukanga Mukara zum Beispiel in einem seiner Briefe, seines Reiseberichts aus Deutschland, an seinen König in Kitara:

“In Deutschland ist sehr viel Rauch. Aber das ist kein Rauch, der die Schritte beschleunigt oder das Herz (des Wanderers) höher schlagen lässt. Es ist Rauch in frischer Luft. […] In langen steinernen Röhren wird er zum Himmel geleitet. Aber der Himmel will ihn nicht, so liegt er wie ein Frühnebel über der Erde. […] unerträglich ist die Luft, die die Wasungu (die Deutschen) sich gewöhnen einzuatmen. Sie lieben es zur Arbeit, zum Vergnügen, zum Unterricht […] in geschlossenen Räumen beisammen zu sein. Stundenlang. Jeder atmet die Luft, die schon ein anderer geatmet hat. Es müssen viele von ihnen krank sein. Ich weiß das nicht; denn ich sehe nur gesunde Leute in den Straßen und glaube, dass sie die Kranken an einen anderen Platz schaffen.”

Paasche, in: Hähnel (Hg.) 2016.

Dies ist nur eine der vielen Schilderungen die Paasche über die Figur Lukanga Mukara in Briefform zu Papier bringt. Mit dem Perspektivwechsel, die Welt durch die Augen Lukangas zu sehen, schafft Paasche es, maßgeblich am vorherrschenden Eurozentrismus zu rüttelt; der Ansicht, sich ein ideologisches Urteil über andere Gesellschaften, nach europäischen Vorstellungen, zu bilden.

Welche Parallelen zur heutigen Zeit können wir ziehen?

Dieser Eurozentrismus und der damit einhergehende Rassismus sind auch heute noch in vielerlei Hinsicht gegeben. Auch wenn Paasches Briefe des Afrikaners Lukanga Mukara über 100 Jahre alt sind, spiegeln sie hochaktuelle Themen wieder. Schon vor einhundert Jahren hat Paasche es geschafft, sich seiner Privilegien bewusst zu werden, die mit dem weiß sein einhergehen. Außerdem schrieb er die Gedanken der Menschen, denen er in Afrika begegnete auf und gab ihnen auf diese Weise eine Stimme. Der Umgang mit Rassismus in unserer Gesellschaft lässt auch heute noch zu wünschen übrig.

Viele Menschen leiden täglich unter Alltagsrassismus und institutionellem Rassismus, sei er bewusst oder unbewusst. Und so wie es Paasche seinerzeit geschafft hat sich zu reflektieren, können wir auch heute andere Perspektiven kennenlernen und uns fragen, wie Rassismus wirkt und welche Strategien sich um ihn etabliert haben. Die Expertin für Vielfalt und Antidiskriminierung, Tupoka Ogette schafft das mit ihrem Buch: “Exit Racism”. Sie beschreibt, welche emotionalen Phasen Menschen durchlaufen, wenn sie sich auf den rassismuskritischen Weg begeben und lädt dazu ein, sich mit Emotionen auseinander zu setzen, die aufkommen, wenn es um das Thema Rassismus geht.

Quellen und zum Nachlesen

  • Pastor em. Dr. phil. Willi, Passig Rostocker Porträts – Persönlichkeiten aus 800 Jahren Stadtgeschichte, Elmenhorst/Vorpommern: Edition Pommern 2017,178-184
  • Iring Fetscher, Hans Paasche (1881-1920) – Kapitänleutnant a.D., Pazifist und Radikaldemokrat, in: Franziskus Hähnel (Hg.), Hans Paasche: Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland”, Bremen: Donat Verlag 2016, 91-114
  • Helmut Donat: „Rebell in Uniform“, in: Die Zeit Nr. 22, 20.05.2020, 17
  • Helga Paasche und Helmut Donat (Hg.), Hans Paasche: Ändert euren Sinn!, Bremen: Donat Verlag, 1992
  • Werner Lange (Hg.), Hans Paasches Forschungsreise ins innerste Deutschland – Eine Biographie, Bremen: Donat 1994
  • Werner Lange: “Chronologie des Lebens von Hans Paasche”, unter: https://hanspaaschede.wordpress.com/chronologie-verfasst-durch-werner-lange/; letzter Zugriff am 10.12.2020.

Buchempfehlungen

  • Tupoka Ogette: Exit RACISM. Rassismuskritisch denken lernen, Unrast-Verlag 2017.
  • Franziskus Hähnel (Hg.), Hans Paasche: Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland”, Donat Verlag 2016.
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