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Denkmäler und Straßennamen im kolonialen Kontext

Denkmäler und vielleicht noch mehr Straßennamen gehören zu unserer alltäglichen Wahrnehmung. Sie schaffen einen Bezug zur (lokalen) Geschichte und geben Auskunft darüber, wer der Stadt als Vorbild dient. Weil sie uns also zeigen, an wem sich orientiert werden kann oder soll, erscheint es doch umso wichtiger zu wissen und auch kritisch zu hinterfragen: wer genau waren die geehrten Personen und wofür werden sie geehrt?

Paul Pogge Denkmal im Rosengarten

Das Denkmal von Paul Pogge im Rosengarten

Bereits 1885 wurde in Rostock vor dem Ständehaus ein Denkmal zu Ehren von Paul Pogge durch die Afrikanische Gesellschaft1 aufgestellt, die ihn als ihren erfolgreichsten Reisenden betrachtete. Das Denkmal wurde 1945 abgebaut und zerstört. 1995 schenkte die Volksbank der Stadt Rostock ein neues Pogge-Denkmal. Es steht im Rosengarten und wurde von dem Bildhauer Jo Jastram erstellt. Unter der Büste steht sein Name, die Bezeichnung „Afrika-Forscher“ und seine Lebensdaten.

Wer war Paul Pogge?

Paul Pogge (1838-1884), der Sohn eines mecklenburgischen Gutsbesitzers unternahm im Auftrag der Afrikanischen Gesellschaft zwei Expeditionen nach Zentral-/West-Afrika. In der ersten Expedition (1874-76) gelangte er bis zum Lundareich des Herrschers Muata Jamwo im Süden der heutigen Republik Kongo und blieb dort 4 Monate. Dies wurde als großer Erfolg Pogges betrachtet und veranlasste Bismarck zu weiteren großzügigen Zahlungen an die Afrikanische Gesellschaft zu Forschungszwecken. Bis zu 140 Schwarze Träger waren Teil der Expedition, von der Pogge einheimische Gebrauchs- und Kunstgegenstände, zoologische und botanische Objekte sowie 18 Schädel mitbrachte und den königlich-preußischen Museen in Berlin übergab.

Die zweite Expedition ab 1880 leitete er und wurde zunächst vom Rostocker Leutnant Hermann von Wissmann begleitet. Ziel war es, von der Westküste aus so weit wie möglich in das Innere des Kongo vorzudringen. Pogge lag außerdem daran, zu Forschungszwecken eine Station aufzubauen. Pogge wollte beweisen, dass es möglich ist, als Weißer längere Zeit in Zentralafrika unabhängig von der Küstenzufuhr zu leben. Dies versuchte Pogge durch Pflanzenanbau und Kleintierzucht zu bewerkstelligen. Da sich das politische Klima in der Zwischenzeit der Reise änderte und Deutschland selbst Kolonialmacht wurde, verlagerte sich das Interesse von der allgemeinen Erforschung Afrikas hin zur Erforschung der deutschen Kolonien. Während Pogge allein zurück geblieben zwei Jahre lang auf weitere Finanzmittel aus Berlin hoffte, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. 1884 starb er auf dem Weg zurück zur Küste in der portugiesischen Kolonie Angola.

Wie ist Pogges Tätigkeit einzuschätzen?

Es ist nicht einfach, kritische Stimmen zum Lebenswerk von Paul Pogge zu finden. Einige Veröffentlichungen und Initiativen preisen ihn und weisen Kritik entschieden ab: „In Verkennung seiner Verdienste wurde er als Vorbereiter des deutschen Kolonialismus diffamiert.“ schreibt z.B. der lokale Heimatverein, der im Geburtshaus von Pogge bis heute an ihn und andere Familienmitglieder erinnert. Der Verein beschreibt Pogge als erfolgreich und unvoreingenommen in seinen Feldstudien. Ob diese Einschätzung so aufrecht zu erhalten ist, bedürfte einer weiteren kritischen Untersuchung, die gerade auch Pogges eigene Publikationen nicht außen vor lässt. Was genau waren seine Verdienste? Kann heute noch als Forschung bezeichnet werden, was damals über Afrika gedacht und niedergeschrieben wurde? Und haben die Expeditionsreisen der damaligen so genannten „Afrika-Forscher“ die Funktion inne gehabt, den Weg auch für die deutschen Kolonien zu bereiten? Viele Autor*innen belassen es in ihren Nachforschungen dabei, das wiederzugeben, was Pogge selbst schreibt, teilweise mit dem gleichen Wortlaut. Dabei scheint wenig Sensibilität dafür zu sein, dass solch eine Geschichtsschreibung leicht den Kolonialismus als heldenhaft zeichnet und seine Aura heute noch romantisierend reproduziert.

Auf den ersten Seiten des von Pogge veröffentlichten Tagebuchs über seine erste Expeditionsreise „Im Reiche des Muata Jamwo“ findet sich z.B. das folgende Zitat (Achtung Triggerwarnung!):

„Was den Charakter des N**** in Angola sowohl, als im übrigen Afrika betrifft, so kann der unparteiische Europäer denselben im Allgemeinen nur tadeln. Der N**** ist feige, faul, unzuverlässig, lügenhaft, liederlich, leichtsinnig, schlau und abergläubisch; er lügt, stiehlt und betrügt, wo er nur kann. Er lebt nur für die Gegenwart und denkt nicht an die Zukunft; er fühlt sich nur da wohl, wo er zu leben hat, kennt keinen Patriotismus, kein Heimweh, obwohl man zugestehen muss, dass die Bande der Verwandtschaft von ihm sehr respectiert werden, und die Verwandten in der Not fest zu einander halten.“ (Pogge, Im Reiche des Muata Jamwo, 6.)

Pogge, Im Reiche des Muata Jamwo, 6.

Europäer_innen leb(t)en in der Fiktion, unparteisch über andere urteilen zu können. Sie hielten ihre eigene, begrenzte Kultur samt der recht jungen Geschichte der Nationalstaaten für rational, vorausschauend und überlegen.

Straßennamen mit kolonialem Erbe in der Stadt Rostock

Interessant ist die Entstehungsgeschichte von Straßennamen. Wer entscheidet eigentlich darüber, wie Straßen heißen? Das machen meist die Bürgerschaft und die Stadt. Gibt es moralische Grundsätze, nach denen Straßen be- oder auch umbenannt werden? Ja! Die gibt es. In der Anlage zur Straßenbenennungssatzung der Hansestadt Rostock steht zum Beispiel geschrieben: „Unzulässig ist die Benennung nach Personen, die Ziele, Handlungen oder Wertvorstellungen verkörpern, die den Grundsätzen der Verfassung widersprechen.“

Anders als in vielen (eventuell stärker in west-) deutschen Städten fallen in Rostock auf den ersten Blick nicht viele Straßennamen auf, die einen Bezug zum Kolonialismus aufweisen. Eine Ursache dafür kann die sozialistische Vergangenheit der Hansestadt sein.

Der nach dem kolonialen „Eroberer“ Christoph Kolumbus (1451–1506) benannte Kolumbusring führt heute durch Schmarl. Im benachbarten Stadtviertel Evershagen gibt es heute umringt von Straßen, die nach Schriftsteller_innen benannt sind, die Carl-von-Linné-Straße. Der Schwede Linné (1707-1758) wurde berühmt dafür, dass er ein Bezeichnungssystem für Mineralien, Pflanzen und Tiere erfand, das noch heute verwendet wird. Eine Kommission der Stadt Freiburg riet der Stadt 2016, unter dem Straßenschild der dortigen Carl-von-Linné-Straßen den Zusatz anzubringen „Schwedischer Naturforscher und Begründer der biologischen Systematik, Vordenker einer biologistisch begründeten Geschlechterhierarchie und Rassenlehre“. Linné teilte die Menschen anhand von körperlichen Merkmalen in vier menschliche Rassen (Europäer, Amerikaner, Asiaten und Afrikaner) ein und belegte sie mit höheren und niederen Charaktereigenschaften.

Carl von Linné

Interessanterweise war auch Konrad Adenauer, nach dem der Platz vor dem Hauptbahnhof benannt ist, von 1931-33 Vizepräsident der Deutschen Kolonialgesellschaft2. Der Mediziner Robert Koch (1843-1910), nach dem eine Straße in der Südstadt benannt ist, war als „Tropenforscher“ bekannt, auch sein Handeln ist umstritten. In der Station zu Kolonialismus und Medizin erfährst du etwas mehr über ihn.

Wen wollen wir ehren?

Postkoloniale Überlegungen zu städtischer Erinnerungskultur

Sollten Denkmäler mit problematischen Hintergründen abgebaut werden oder auf Gedenktafeln eine kritische Auseinandersetzung stattfinden? Sollten Denkmäler aufgestellt werden, die an afrikanische Persönlichkeiten erinnern, die Widerstand gegen den europäischen Kolonialismus leisteten?

Es gibt heute zahlreiche städtische Initiativen, die sich dafür einsetzen, Straßennamen z.B. nach Widerstandskämpfer*innen aus den kolonisierten Ländern umzubenennen, wenn dort noch heute Kolonialherren geehrt werden, wie beispielsweise in Berlin, Hamburg oder Freiburg. Du kannst dich darüber informieren, diese Initiativen unterstützen oder selbst überlegen, wie du beispielsweise selbst als Teil der Initiative Rostock Postkolonial Dinge anstoßen könntest.

Quellen und zum Nachlesen

  • Online Artikel: voelkerschauen-und-die-zurschaustellung-des-fremden#InsertNoteID_14_marker15: https://d-nb.info/103625058X/34; letzter Zugriff am 3.12.2020
  • Art. „Schmarl“ in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Schmarl&oldid=167027517 (abgerufen am 04.12.17).
  • Heimatverein Zierstorf http://www.poggehaus-zierstorf.de/?page_id=9 (abgerufen am 04.12.17).
  • Kommission empfiehlt Umbenennungen von Freiburger Straßennamen: http://www.freiburg.de/pb/site/Freiburg/node/1017982/Lde/zmdetail_14794301/Linnestrasse.html?zm.sid=zml3zhm6elz1 (abgerufen am 04.12.17).
  • Hartmut Pogge von Strandmann, In das Innere Afrikas. Forschungsreisen und Initiativen zur Erschließung von Südwestafrika durch Paul Friedrich Pogge, in: Mecklenburger im Ausland, 163-174.
  • Nora Pogge, Art. Paul Pogge, in: Helmut Graumann (Hg.), Geboren in Mecklenburg Vorpommern. 100 bedeutende Mecklenburger und Vorpommern. Teil I Die Mecklenburger, Schwerin 1999, 109-110.
  • Paul Pogge, Im Reiche des Muata Jamwo. Tagebuch meiner im Auftrage der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung Aequatorial-Afrika’s in die Lunda-Staaten unternommenen Reise. (Beiträge zur Entdeckungsgeschichte Afrika’s, 3), Berlin 1880. Online einsehbar unter: https://books.google.de/books?id=-VyvAAAAQBAJ&pg=PP2&lpg=PP2&dq=Paul+Pogge+Im+Reiche+des+Muata+Jamwo&source=bl&ots=AUkjjpgVrF&sig=kXo4qXxQnDBbNOkrJ4rmI3TgTAU&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwj1uf-2rPDXAhUmApoKHfNvB4EQ6AEIaTAD#v=onepage&q=Paul%20Pogge%20Im%20Reiche%20des%20Muata%20Jamwo&f=false (abgerufen am 04.12.17).*
  • Werner Pade, Gerhard von Buchka. Kolonialpolitik und „Kolonialwissenschaft“, in: Beiträge zur Geschichte der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock (1988), 34-
  • 1 Die Afrikanische Gesellschaft ist ein Zusammenschluss aus acht einzelnen geographischen Gesellschaften in Deutschland, der 1873 unter dem vollen Namen „Deutsche Gesellschaft zur Erforschung Äquatorialafrikas“ in Berlin entstand. Ihr Zweck war „die wissenschaftliche Erschließung Zentralafrikas im Rahmen europäischer Bemühungen“.
  • 2 Die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG) wurde 1887 in Berlin gegründet. Die DKG war im Kaiserreich die einflussreichste Organisation zur Propagierung einer deutschen Kolonialpolitik. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg setzte sich die Deutsche Kolonialgesellschaft für den Wiedererwerb von deutschem Kolonialbesitz ein. Der Schwerpunkt des Interesses lag auf den bereits genutzten afrikanischen Gebieten. An ihrer Spitze standen bekannte Persönlichkeiten, darunter Carl Peters als Präsident. Ab 1895 folgte als Präsident Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg ab 1920 Theodor Seitz und ab 1930 Heinrich Schnee. Als Vizepräsidenten wirkten mehrere Reichstagsabgeordnete.
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