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Ethnographische Sammlungen
Im 19. Jahrhundert begann eine rege Sammlungstätigkeit von Objekten aus aller Welt, die um die Jahrhundertwende zu einem echten Boom geworden ist. Dieses Sammeln, das primär mit einem Interesse an Forschung in Verbindung zu stehen scheint, kann nicht getrennt werden vom kolonialen Zeitgeist. Besonders deutlich wird das bei der rassistisch orientieren physischen Anthropologie, die menschliche Schädel und Gebeine sammelte (hierzu findest du auch etwas bei der Station Medizin). Bildungsanspruch und Propaganda für (ein ‚Recht‘ auf) deutsche Kolonien gingen auch im Rostocker ethnographischen Museum immer miteinander einher und zeugen vom kolonialen Erbe auch in Bildungsinstitutionen.
Die Rostocker ethnographische Sammlung
1905 wurde das ethnographische Museum in Rostock gegründet. Dies ging zurück auf das Betreiben der Rostocker Abteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft die in Rostock ca. 100 Mitglieder hatte und deren Ziel es war, in der Bevölkerung der Stadt „die Begeisterung für ein deutsches Kolonialreich zu fördern“ (Karge 2003, 40). Ausgestellt wurde zunächst eine Art „Raritäten-Kabinett“ (a.a.O., 42), in dem alles, was den Betreibern ‚exotisch‘, ‚fremd‘ und ‚bunt‘ schien, zu besichtigen war: Waffen, Kleidungsstücke, Jagdtrophäen u.v.m. aus Afrika, Amerika, China und der Südsee.
Das Museum erlebte eine wechselvolle Geschichte mit vielen Umzügen. Seinen ersten Sitz hatte es am Steintor in der Steinstr. 2. 1908 zog das Museum in ein Wohnhaus in die Koßfelder Str. 6 um. Im Eingangsbereich in der 1. Etage standen zwei Figuren, die auf stereotypisierende Weise eine Schwarze Person und einen Native American darstellten. Wegen Raummangel zog das Museum erneut um in die Friedrich-Franz-Straße, heute August-Bebel-Straße. Zuletzt wechselte es seinen Standort 1931 in den alten Wasserturm am Oberwall. Viele Mitglieder der Universität, die auch Mitglied in der Rostocker Abteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft waren, engagierten sich für das Museum und übernahmen z.T. die Leitung.
1942 wurden die Objekte wegen des Krieges privat eingelagert und nach Kriegsende zu einem großen Teil von Unbekannten geplündert. Ein kleiner Teil der übrig gebliebenen Stücke ist heute noch im Kulturhistorischen Museum der Stadt Rostock aufbewahrt. Es handelt sich um rund 150 Objekte, die hauptsächlich aus Ozeanien (Papua-Neuguinea) stammen. Ein größerer weiterer Teil wurde 1961 an das Grassi-Museum für Völkerkunde in Leipzig übergeben.
Wie können wir heute erinnern?
Postkoloniale Überlegungen zum Thema Erinnerungskultur
„Objekte sind Zeugen, manchmal auch Auslöser historischer Begegnungen, die in der Kolonialära oft von Missverstehen, ungleichen Machtverhältnissen und Gewalt, aber auch von Widerstand und Subversion geprägt waren.“
(Förster 2007, 327)
Es ist heute bei jedem einzelnen Sammlungsstück, das in einem kolonialen Kontext angeeignet wurde, kritisch zu hinterfragen, wie genau das Museum an den Gegenstand gelangt ist, schlägt Larissa Förster vor. Diese große Anforderung an ethnologische Museen könnte sich als deren zentraler Bildungsauftrag für die Gegenwart herausstellen und wird nicht ohne die Bereitschaft geschehen können, dafür finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Es sind Fragen zu beantworten wie: Welche zusätzlichen Informationen sind in Ausstellungen notwendig, damit nicht einfach eine romantische Nostalgie für die Ära des Kolonialismus weiterhin reproduziert wird? Wie kann die damals sehr weit verbreitete deutsche Sehnsucht nach den Kolonien heute auf gebrochene, kritische Weise zum Ausdruck kommen? Wie kann nachempfunden werden, was es bedeutet, dass Menschen ihrer Geschichte beraubt wurden, indem ihre Kulturgüter entwendet wurden, und das Wissen über ihre Herkunft zu einem großen Teil in den kolonial gefärbten Museen Europas lagert. Wie kann so etwas wie Reparation angesichts dieses nicht zu beziffernden Raubs hergestellt werden? Mittlerweile sind bereits manche Rückforderungen von lokalen Gruppen oder Staaten in den Medien diskutiert worden z.B. zur Rückgabe geraubter menschlicher Schädeln nach Namibia. Auch mit diesen Akteur_innen gilt es einen ethisch verantwortlichen und sensiblen Umgang zu finden, der das angetane Unrecht des Kolonialismus zunächst einmal bedingungslos anerkennt. Verschiedene Initiativen in Deutschland angeregt von People of Color und Schwarzen Menschen, setzen sich mit diesen Themen und speziell auch mit den Rückforderungen auseinander. Ein öffentlich sehr kontrovers diskutiertes Beispiel bietet das sich im Bau befindende Humboldt-Forum in Berlin. Dieses wird an der Stelle des ehemaligen Schlosses von Wilhelm II. aufgebaut und ist seinem ehemaligen Schloss teilweise nachgebildet, wodurch es große repräsentative Kraft zu entfalten vermag. Es soll zukünftig außerdem die ethnologische Sammlung der königlich-preußischen Museen aus Dahlem beherbergen. Ohne Sensibilität für das Unrecht des Kolonialismus wird so ein Projekt nicht mehr gelingen können
Du kannst dich über die verschiedenen Initiativen informieren und vielleicht auch überlegen, ob du dich mit engagieren möchtest. Es gibt mittlerweile auch einige Vereine, die Antirassismus-Trainings anbieten, in denen miteinander geübt werden kann, sich solchen Themen auf sensible Weise zu stellen. Manchmal kann es viel bewegen, einen Brief zu schreiben, wenn uns etwas z.B. in einem Museum als problematisch auffällt. Viele Institutionen sind für Rückmeldungen sehr dankbar.
Quellen und zum Nachlesen
- Blackface war eine „Theater- und Unterhaltungsmaskerade“, die in den sogenannten Minstrel-Shows des 18. und 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten von Amerika populär wurde. Dabei malten sich weiße Darsteller das Gesicht dunkel an und ahmten Schwarze Personen nach. Die Darstellung Schwarzer Menschen durch dunkel geschminkte weiße Menschen wird als Blackfacing bezeichnet. Die Praxis wird teilweise noch heute beim Karneval oder Fasching, in der Werbung oder im Theater angewandt. Blackfacing ist eine rassistische Praxis, die es Schwarzen Menschen nicht ermöglicht, sich selbst in ihrer individuellen Verschiedenheit darzustellen, sondern sie auf stereotype Fremdbilder, die sich weiße Menschen von ihnen machen, reduziert.
- *Larissa Förster, Köln – Berlin – Freiburg. Ethnologische Museen und ihr koloniales Erbe, in: Ulrich van der Heyden (Hg.), Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland, Erfurt 2007, 324-327.
- Annelen Karge, Das Ethnografische Museum Rostock – kolonialer Geist in der Hansestadt, in: Reno Stutz (Hg.), Rostocker Blitzlichter 1900/2000, Rostock 1999, 215-218.
- Annelen Karge, Das Ethnografische Museum zu Rostock, in: Peter Danker-Carstensen (Hg.), Bürgerstolz 1841-1901-2003. Museum in Rostock (Kleine Schriften des Schifffahrtsmuseums Rostock 3), Rostock 2003, 40-47.
- Nils Seethaler, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft magazinierter ethnographischer Sammlungen in Deutschland am Beispiel des ehemaligen ethnographischen Museums von Rostock, in: Mitteilungen des Museumsverbandes in Mecklenburg-Vorpommern 19 (2010), 11-15.
- Zum Nachhören: Debatte um Kolonialgeschichte. Komplexe Vergangenheit. Jürgen Zimmerer im Gespräch mit Anja Reinhardt, im Deutschlandfunk 24.09.17: http://www.deutschlandfunk.de/debatte-um-kolonialgeschichte-komplexe-vergangenheit.911.de.html?dram:article_id=396645 (zuletzt abgerufen am 10.09.2020).*